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Nach dem Terroranschlag ist Israel verwirrt

von Ulrich W. Sahm

JERUSALEM, 27.09. 2017 – Der schwere Terroranschlag in Har Adar am Dienstag mit drei ermordeten und einem schwerverletzten Sicherheitsbediensteten sowie einem getöteten palästinensischen Angreifer hat in Israel Verunsicherung hervorgerufen.

Der Terrorist Nimer J., 37, Vater von vier Kindern, dessen Frau vor vier Monaten zu ihren Eltern nach Jordanien geflohen ist, war bei vielen Familien der Siedlung Har Adar bestens und positiv bekannt. Er arbeitete in mehreren Wohnungen als Raumpfleger und Installateur. Nach dem Anschlag erzählten Bewohner über das ihm entgegengebrachte Vertrauen. Sie wussten sogar über dessen familiäre Probleme Bescheid. Umso mehr bestürzte die Tatsache, dass ausgerechnet ein Palästinenser, mit dem es gute persönliche Beziehungen gab und dem sie vertrauensvoll ihren Hausschlüssel überließen, ein Massaker anrichten wollte, weil er „persönliche Probleme“ hatte.

Anschlag fällt aus dem Rahmen

Der Attentäter passte allein deshalb in keines der bisher üblichen und bekannten „Profile“ palästinensischer Terroristen und auch nicht in das der „einsamen Wölfe“. Schon viele meist junge Menschen sind nach Streitigkeiten in ihren Familien mit einem Küchenmesser losgezogen, um Juden zu ermorden. Sie identifizierten diese anhand ihrer Kleidung als orthodoxe Juden oder anhand ihrer Uniform als israelische Sicherheitsleute oder Grenzschützer. Grundsätzlich mordeten sie willkürlich, kannten also ihre Opfer nicht. Da auch Drusen oder Araber als Sicherheitsleute dienen, wurden so auch häufig Nicht-Juden zu Opfern der Terroristen. Ein typisches Beispiel sind die beiden drusischen Grenzschützer, die an einem Eingangstor zum Tempelberg ermordet worden sind, was dann die jüngsten Tempelbergunruhen auslöste.
Der Terroranschlag in Har Adar fiel auch noch aus anderen Gründen aus dem bekannten Rahmen. So war der Terrorist aus dem „friedlichen“ Nachbardorf Inhaber eines Ausweises mit der Berechtigung, in Israel oder in Siedlungen zu arbeiten. Mehr als 70.000 Palästinenser besitzen solche von den israelischen Sicherheitskräften ausgegebenen Magnetkarten. Damit können sie alltäglich und zügig die Grenzkontrollen passieren. Alle sind sicherheitsgeprüft und stellen deshalb grundsätzlich keine Gefahr dar. Da sie täglich die Kontrollpunkte überqueren, kennen sie die Sicherheitsleute teilweise persönlich. Bisher hieß es, dass es „noch nie“ Terrorangriffe von solchen genehmigten Arbeitnehmern gegeben habe. Die Terroristen seien bis jetzt immer ohne Ausweis und „illegal“ nach Israel gekommen.

Am Dienstag kam J. mit einer Gruppe solcher Tagelöhner zur Arbeit. Er war der letzte. Die Sicherheitsleute kannten ihn und hätten ihn durchgewunken. Aber er fiel auf, weil er an dem heißen Tag eine dicke Jacke trug. Er wurde gestoppt und aufgefordert, seine Jacke zu öffnen. In dem Augenblick zückte er eine Pistole und gab acht Schüsse ab. Drei Wächter starben sofort und ein weiterer wurde schwer verletzt. Andere Grenzschützer erschossen den Angreifer.

Geprüft wird jetzt, wie er in den Besitz der Pistole gelangt ist. Es handelt sich um eine vor vielen Jahren gestohlene Schusswaffe aus Beständen der israelischen Armee und nicht um ein in Heimarbeit gebasteltes Schussgerät. Im Westjordanland wie auch in arabischen Dörfern in Israel sind Schusswaffen verbreitet und leicht verfügbar. In diesem Fall prüfen die Ermittler, woher der Attentäter die Pistole hatte. Offenbar war sein Anschlag von langer Hand im Voraus geplant gewesen.
Das Vertrauen in Palästinenser mit Arbeitsbewilligung ist jetzt erschüttert. Aber niemand wagt, einen völligen Einreisestopp für die Tagelöhner vorzuschlagen, weil das für die israelische wie für die palästinensische Wirtschaft ein kostspieliger Einschnitt wäre.

Vorerst wurde nur in dem Dorf Beth Zurif, aus dem Nimer kam, eine Sperre verhängt, auch um die Ermittlungen bei Familienangehörigen und Freunden des Mannes zu ermöglichen. Ebenso dürfen Palästinenser vorerst nicht zur Arbeit in Har Adar kommen. Gemäß Medienberichten bereitet sich die Armee darauf vor, das Wohnhaus des Terroristen zu zerstören.

Todesstrafe zur Abschreckung?

Verteidigungsminister Avigdor Lieberman schlug am Dienstag vor, zwecks Abschreckung, in Israel die Todesstrafe einzuführen. Dem widersprach Gilad Erdan, der Minister für innere Sicherheit. Für einen Terroristen, der schon einen Abschiedsbrief hinterlassen hat und mit der Gewissheit komme, selber zu sterben, sei die Todesstrafe bedeutungslos.

Wegen der sehr ungewöhnlichen Umstände dieses Terroranschlags hatten die Israelis eine klare Verurteilung dieses dreifachen Mordes von Seiten der palästinensischen Autonomiebehörde erwartet. Doch die blieb aus und bei der Hamas im Gazastreifen wurde Nimer sogar als „Held“ bezeichnet und gefeiert.

Israelische Sprecher sagten in Rundfunk, dass sie die gesamte private „schmutzige Wäsche“ des Täters ermitteln und veröffentlichen wollten, darunter Gewalt und die Flucht seiner Frau nach Jordanien. Es sei daher klar, dass er nicht aus „nationalistischen“ Motiven heraus gehandelt habe, sondern als verachtenswerter Gewalttäter.

Foto: Israelische Soldaten in der Nähe der Siedlung Har Adar/IDF

 

Fokus Jerusalem berichtete über den Terroranschlag in Har Adar:

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