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Khan el Akhmar, Merkel und rechtliche Fragen

von Ulrich W. Sahm

JERUSALEM, 04.10.2018 – Hätte Israel dem Urteil des Obersten Gerichts vor der Abreise der Bundeskanzlerin Angela Merkel stattgeben und die winzige illegal errichtete Ansammlung von Blechhütten in Khan el Akhmar nahe Jerusalem abgerissen, so hätte sie ihren angesagten Israelbesuch kurzfristig abgesagt. Das berichtete die israelische Zeitung Jerusalem Post am Mittwochmorgen, wenige Stunden vor dem Abflug der Kanzlerin aus Berlin. Das Beduinendorf liegt auf einem unzugänglichen Hügel bei der Autobahn von Jerusalem nach Jericho. Auf der anderen Straßenseite, sozusagen „gegenüber“, zieht sich die 1994 gegründete Stadt Maaleh Adumin. Sie wurde errichtet nach dem Jom-Kippur/Oktoberkrieg von 1973, als den Israelis klar geworden war, dass zwischen der Grenze zu Jordanien und der Hauptstadt Jerusalem nur Wüste liegt.
König Hussein von Jordanien hatte nach dem Friedensschluss mit Israel dem Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin verraten, in seinem Leben zwei unverzeihliche Fehler gemacht zu haben. 1967 habe er sich infolge falscher Siegesmeldungen der Ägypter dem Krieg gegen Israel angeschlossen und so neben Jerusalem das ganze Westjordanland verloren. 1973 habe er sich aus dem Krieg herausgehalten, obgleich er innerhalb einer Stunde mit einem Panzer ohne jedes Hindernis auf der Strecke von Amman bis ins Stadtzentrum von Jerusalem hätte fahren können.
Israelische Siedlerstadt zum Schutz erbaut
Wegen dem Bedürfnis, Jerusalem vor einem Angriff Jordaniens oder irakischer Truppen vom Osten her zu schützen, haben die Israelis also eine viele Kilometer lange Siedlerstadt mitsamt angeschlossenem Industriezentrum errichtet. Damit sollten feindliche Truppen in sicherer Entfernung vor Jerusalem blockiert werden können. Die Stadt ist so groß, dass sie das Westjordanland mittendrin zerschneidet, in einen nördlichen und einen südlichen Teil.
Nördlich von Maaleh Adumim liegt ein großer kahler Hügel, auf dem nur eine Polizeistation steht und der ansonsten wegen seiner steilen Abhänge für Fahrzeuge unzugänglich ist. Wer vom Norden in den Süden des Westjordanlandes fahren will, muss in jedem Fall eine enge Straße am Rande des umstrittenen „E1“ genannten Hügels benutzen.
Die palästinensische Behauptung, dass die Errichtung einer israelischen Siedlung auf diesem unzugänglichen Hügel das Westjordanland zerschneiden und so die Zweistaatenlösung „unmöglich“ machen würde, ist angesichts der Geografie schwer nachzuvollziehen und wegen der ohnehin längst bestehenden Stadt Maaleh Adumim ein absurdes Argument.
Weltweite palästinensische Kampagne gegen Abriss
Neben dieser politischen Behauptung gibt es seit Monaten eine großangelegte, weltweite palästinensische Kampagne gegen die israelische Absicht, das Beduinendorf Kahn el Akhmar abzureißen und seine rund 180 Bewohner in ein modernes Neubauviertel mit Infrastruktur umzusiedeln.
Das Völkerrecht sieht vor, dass der Besatzerstaat in dem von ihm besetzten Gebiet eine Militärverwaltung unterhält und alle verwaltungstechnischen Aufgaben eines Staates übernimmt. Dazu gehört die Landverwaltung und die Erteilung von Baugenehmigungen. Genauso wie in jedem anderen Rechtsstaat müssen illegal auf Staatsland errichtete Häuser abgerissen werden. Dazu bedarf es eines rechtskräftigen Urteils, was in diesem Fall vorliegt. Durchaus vergleichbar ist die polizeiliche Räumung der Baumhäuser von Demonstranten im Hambacher Forst. Niemand käme auf die Idee, gegen Deutschland wegen „Völkerrechtsbruch“ in der UNO oder auf der internationalen Bühne anzuprangern.
Wann ist Beduinensiedlung entstanden?
Es ist umstritten, wann das Dorf entstanden ist. Manche behaupten, dass die Beduinen 1950 aus Israel ausgewiesen und von Jordanien dort angesiedelt worden seien. Die Israelis behaupten, dass die Beduinen sich erst sehr viel später dort niedergelassen hätten, nachdem ihnen die palästinensische Autonomiebehörde dort aus politisch strategischen Gründen Wassertanks aufgestellt hatte. Denn ohne Wasser kann niemand in der kargen Wüste überleben. Um die Palästinenser in ihrem Vorhaben gegen die israelische Vorherrschaft zu unterstützen, haben dann die Europäer mit viel Geld und diplomatischem Druck das Dorf mit Solarstrom ausgestattet und mit alten Autoreifen eine kleine Schule errichtet. Tatsächlich handelt es sich hier um ein paar in der Landschaft verstreute baufällige Blechhütten. Das Abwasser fließt ungeklärt ins nächste Tal und verseucht das Grundwasser. Kinder sind durch die benachbarte Autobahn gefährdet. Einige schlafen auf zerschlissenen Matratzen unter einer Autobahnbrücke. Im Dorf laufen ansonsten Ziegen und Schafe frei herum.
Kinder in Beduinendorf leben gefährlich
Das Leben in Khan el Akhmar ist in jedem Fall sehr ungesund und wegen der nahen Autobahn lebensgefährlich, vor allem für die Kinder. In der der Schule dürfte es auch nicht sehr gesund sein, die Schulbank zu drücken, falls da mal jemand ein Streichholz an die aufgetürmten Reifen halten sollte. Für Ambulanzen oder Rettungsfahrzeuge gäbe es nur einen gefährlichen, ungepflasterten Feldweg dorthin. Israel hat den Bewohnern einen Ersatz für die zerstörten Häuser angeboten: ein Neubauviertel in Abu Dis bei Jerusalem, allerdings neben einer Müllkippe und bei Jericho. Beide Angebote haben die Palästinenser abgelehnt. Und während die Ortschaft weltweit Schlagzeilen macht, mit politischen oder humanitären Argumenten, habe nun Merkel damit gedroht, ihren Israelbesuch kurzfristig abzusagen, falls Israel den Abriss vollziehen sollte. Die rechtlichen Hintergründe, Israels Verpflichtungen als Besatzer, werden kaum jemals erwähnt und bei dem politischen Streit ohnehin nicht beachtet. Das macht eine sachliche Diskussion zu diesem Thema kaum möglich. Eine gewaltsame Verpflanzung von Menschen, ist natürlich immer eine Tragödie. Doch die 180 Einwohner haben eine Alternative angeboten bekommen, im Gegensatz zu über 1,5 Millionen Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten, die inzwischen in Deutschland angekommen sind.

Foto: Schulkinder aus dem Beduinendorf Khan el Akhmar am 2. Oktober 2018 mit Bildern von Angela Merkel. „Bitte retten Sie unsere Schule“ haben sie auf das Plakat geschrieben. Quelle: Wisam Hashlamoun / Flash90.

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