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Helden ohne Umhang (14): Oren Blitzblau – Vom blinden Kriegsveteranen zum Ironman Israels

von Nadine Haim Gani

JERUSALEM, 27.08.2021 – Oren Blitzblau, der vor mehr als zwei Jahrzehnten bei einem grausamen Selbstmordanschlag im Gazastreifen lebensgefährlich verwundet wurde, kämpfte sich mit unbändigem Willen zurück in sein Leben. Trotz schwerer Schäden an seinen inneren Organen, Verbrennungen am ganzen Körper, Hörstörungen und Sehverlust auf beiden Augen glänzt der Familienvater bis heute als Leichtathlet und Ironman für Blinde.

„Stellen Sie sich vor, morgens aufzustehen, Richtung Osten zu blicken, zu wissen, dass Sie vor einem wunderschönen Sonnenaufgang stehen, aber alles um Sie ist dunkel. Im Sand am Strand zu stehen, zu wissen, dass der rote Ball am Horizont langsam untergeht, aber um Sie ist es dunkel. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind am ersten Schultag in die Schule zu begleiten und Sie genau wissen, dass an der Tafel steht ‘Schalom Erste Klasse’, aber für Sie ist es dunkel. Ich bin Oren Blitzblau und das ist meine Geschichte.“

Begabter Sportler mit deutschen Wurzeln

Oren Blitzblau wurde am 18. April 1976 in Nahariya geboren. Sein Vater Michael war der Sohn deutscher Holocaust-Überlebender. Oren und seine Schwester lernten damals von ihren Großeltern die deutsche Sprache. Oma Erna und Opa Sascha-Hermann Blitzblau schafften rechtzeitig die Flucht aus Nazideutschland. Opa Sascha-Hermann war damals von einem seinem deutschen Nachbarn gewarnt worden, dass Deutschland nicht mehr sicher sei und sie das Land so schnell wie möglich verlassen müssten. Sascha-Hermann floh aus Nazideutschland, einen Tag vor der Reichskristallnacht. Er erreichte Israel im Jahr 1938. Sascha-Hermann, dem die Nazisoldaten damals seinen Zweitnamen absprachen, da dieser angeblich zu deutsch für einen Juden war, gründete einen der ersten Friseursalons in Nahariya. Am 26. Mai 1948 zerstörte bei einem Direkteinschlag eine syrische Bombe seinen Friseursalon. Er überlebte als einziger die Explosion. Unter den Toten war damals auch der dreijährige Daniel Neumann.

Orens Oma Erna Blitzblau hatte 1956 einen schweren Autounfall. Orens Großmutter wurde schwer verletzt und verlor ihr linkes Auge. Ein paar Jahre später erhielt Erna eine Augenprothese. Damals ahnte noch niemand, dass die Familie den Professor für Augenprothesen fast 50 Jahre später ein weiteres Mal treffen sollte.

Seine Leidenschaft für den Sport entdeckte Oren im Alter von sechs Jahren. Seine Kindheit verbrachte er als als begabter Schwimmer größtenteils im Wasser. Oren schloss sich dem Schwimmclub Hapoel Nahariya an. Er trainierte dort bis zu seinem 17. Lebensjahr, nahm an Dutzenden Wettkämpfen teil und glänzte vor allem im Freistil auf der Langstrecke. 

Dienst in der israelischen Armee

Im August 1994 begann Oren seinen Armeedienst. Als Kämpfer diente Blitzblau im Ingenieurkorps der Fallschirmjäger-Brigade. Einige Zeit später wurde er zum Geheimdienstoffizier des israelischen Schwertbataillons, dem sogenannte Drusen-Bataillon, befördert. 1997 leitete Oren die Arbeit des Geheimdiensthauptquartiers, um eine weitreichende Infrastruktur zur Sammlung von Informationen und wichtigen Nachrichten in der Gaza-Division aufzubauen. Er stach durch herausragende Leistungen hervor. Das Genie wurde später zum Geheimdienstoffizier der Südbrigade ernannt und nahm an der Bekämpfung der zweiten Palästinenser-Intifada Anfang 2000 teil.

Am 18. Januar 2005 trat Blitzblau mit einigen Soldaten in Zusammenarbeit mit einem Team des Inland-Geheimdienstes seinen Dienst am Orchan-Grenzposten im Gazastreifen an. Der Orchan-Außenposten befand sich an der ehemaligen Gusch-Katif-Kreuzung. Er war in den Jahren zuvor immer wieder Ziel tödlicher Angriffe palästinensischer Terroristen. 

Oren in den ersten Tagen nach seiner schweren Verletzung. Sein Gesicht ist geschwollen, er bekommt starke Schmerzmittel. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Oren Blitzblau/privat

Palästinensischer Selbstmordattentäter

Oren und fünf weitere Soldaten inspizierten die passierenden Fahrzeuge palästinensischer Zivilisten. Sie erhielten den Hinweis auf eine verdächtige Person, die sich auf dem Weg zum Grenzposten befand. Oded Sharon, Mitglied des Geheimdienstes, konnte die Person ausfindig machen und führte ihn zu den Soldaten. Der Palästinenser erkannte, dass er von den israelischen Sicherheitskräften identifiziert worden war, und betätigte den Auslöser in seiner Hosentasche. Der Selbstmordattentäter sprengte sich vor den jungen Soldaten in die Luft. Oded Sharon wurde bei der Attacke sofort getötet, fünf weitere Soldaten schwer verletzt. Oren zog sich lebensgefährliche Verletzungen zu. Seine inneren Organe wurden durch den Druck der Detonation schwer verletzt. Er erlitt nicht nur schwere Verbrennungen am ganzen Körper und schreckliche Verletzungen im Gesicht, sondern auch Hör- und Augenschäden. Die Gläser der Brille, die Oren an diesem Morgen trug, zersplitterten und durchbohrten seine Augen. Oren erwachte erst drei Tage später auf der Intensivstation. Mit der Zeit erblindete er zunächst auf einem und dann auf beiden Augen. Der junge Mann war am Boden zerstört. Oren und seiner Ehefrau Nitzan wurde bewusst, dass sich ihr Leben dramatisch verändert hatte. Der absolute Verlust seiner Unabhängigkeit deprimierte den jungen Mann zutiefst. Ohne die liebevolle Hilfe seiner Ehefrau kam er bei Tätigkeiten im Alltag nicht zurecht. Für einen Handgriff, den eine Person mit Augenlicht in drei Sekunden erledigt, benötigte Oren drei Minuten. Nitzan opferte sich für die Genesung ihres Mannes auf und umsorgte ihn. Für Oren ist der wahre Held seiner Geschichte seine tapfere Ehefrau.

Oren mit seinem Blindenhund. Er ist ein wichtiger Begleiter im Leben des tapferen Veteranen. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Oren Blitzblau/privat

Zurück ins Leben

Natürlich konnte Blitzblau nach seiner schweren Verletzung nicht zu den Kampftruppen der israelischen Armee zurückkehren. Wahrscheinlich hätten sich die meisten Menschen in seinem Zustand vom Armeedienst zurückgezogen. Doch etwa acht Monate nach seiner schweren Verletzung und fortwährender physischer und seelischer Reha nahm Blitzblau, der immer noch Druckverbände trug, vollmotiviert seinen Dienst in der israelischen Armee wieder auf. Oren erzählt: „Schon auf der Intensivstation, als jedes Loch in meinem Körper verschlossen wurde, versicherte ich meiner Frau, in zwei oder drei Monaten wieder dienen zu können.“. Natürlich erklärte sie ihm immer wieder die Schwere seiner Verletzungen, doch Oren ließ sich nicht beirren.

Oren belegte Kurse an der Militärakademie, machte seinen Bachelor-Abschluss in ‘Regierung, Politik und Strategie’ und einen Master-Abschluss in ‘Nationale Sicherheit und Terrorismusbekämpfung’. Danach diente er ein weiteres Jahrzehnt in einer Vielzahl von Forschungs-, Cyber- und Trainingsprojekten in der israelischen Armee. Der Terrorist konnte Oren damals zwar schwer verletzen und ihm das Augenlicht nehmen, doch investierte Blitzblau nun seine ganze Kraft in den technologischen Terrorkampf, um die Terroristen auf dieser Ebene zu schlagen.

Oren Blitzblau weiß, wie surreal sein Drang, seinem Heimatland für jeden Preis treu zu bleiben und zu dienen, manchen Personen erscheinen mag. Er erklärte es so: „Die Augen sind nicht die große Verletzung. Ich erlitt Verbrennungen am ganzen Körper, innere Organe wurden amputiert. Aber ich wollte weiter meinen Beitrag leisten. Die größte Erfüllung im Leben ist es, jemandem etwas zu spenden.“

Oren auf dem Tandem mit seinem Teamkollegen. Schon ein Jahr nach seiner schweren Verletzung saß der Kämpfer im Fahrradsattel. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Oren Blitzblau/privat

Sport ist besser als jede Medizin“

Doch er gab sich mit seinen Errungenschaften im Militär nicht zufrieden. Die Liebe zum Sport brannte immer noch im Herzen des Veteranen. Der ehemalige Athlet nahm zunächst an, seine geliebte Welt des Sports und der Wettbewerbe bliebe ihm für immer verschlossen. Oren konnte aufgrund seiner schweren Verbrennungen nicht zurück ins Wasser und seinem Lieblingssport, dem Schwimmen, nachgehen. Deshalb interessierte er sich für das Fahrradfahren und begann etwa ein Jahr nach der schweren Verletzung Tandem zu fahren. Blitzblau organisierte eine Fahrrad-Charity, deren Einnahmen für den Bau eines Sportzentrums für behinderte Kinder im Norden Israels gespendet wurden. Er besuchte weiterhin das militärische Sport-und Rehabilitationszentrum für Kriegsveteranen und hörte dort zum ersten Mal vom Triathlon für blinde Sportler. Die Welt des Triathlons öffnete Oren die Türen zu sportlichen Wettkämpfen, die ihm aufgrund seiner Behinderung so sehr fehlten.

Blitzblau nimmt an allen Wettbewerben mit einer Begleitperson teil. Beim Schwimmen ist er mit einer Leine an der Hüfte mit seiner Eskort-Person verbunden. Wichtig ist hierbei, dass der Begleiter nicht vor Oren schwimmt, da er ihn sonst hinter sich her ziehen würde. Das Team schwimmt nebeneinander im gleichen Tempo, wobei sein Teamkollege den Sollkurs anzeigt. So verhält es sich auch während des Marathons. Sein Partner läuft neben ihm und die beiden sind durch ein Band miteinander verbunden. Sein Laufpartner vermittelt ihm Orientierung während des Wettbewerbs, gibt aber nicht das Tempo vor.

Oren blüht bei Wettkämpfen auf. Die Blindheit bremst ihn nicht.
Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Oren Blitzblau/privat

Sieg über den Terroristen

Einige Jahre, nachdem Oren für sich den Para-Triathlon entdeckt hatte, erntete der Sportler die Früchte seiner Arbeit und gewann bedeutende Titel. Während der Para-Triathlon-Europameisterschaften 2012 in Eilat gewann er die Bronzemedaille. Ein Jahr später bei den Meisterschaften in der Türkei holte er sich bereits die Silbermedaille. Im selben Jahr gewann Oren auch den fünften Platz bei den Weltmeisterschaften in London. Die paralympische Branche ist sehr teuer. Es muss nicht nur das Equipment des Sportlers, sondern auch das seiner Begleitperson finanziert werden. Doch seit dem Augenblick, an dem Oren sich für den Triathlon für Blinde entschied, unterstützt die israelische Armee jeden seiner Wettkämpfe. Bis heute wird Oren von der Armee gesponsert.

2014 gewann Blitzblau bei der Weltmeisterschaft in Madrid die Bronzemedaille. In Brasilien belegte er den ersten Platz im Sprint-Para-Triathlon. Im Mai desselben Jahres wurde Oren von Israels Verteidigungsminister Danny Danon eine Auszeichnung für besondere Verdienste und eine Medaille für seine atemberaubende Rehabilitation nach der schwierigen Verletzung überreicht. Das paralympische Komitee krönte ihn mit dem Titel „Sportler des Jahres“. Oren erzählt, dass allein der Sport die inneren Schmerzen bekämpfen konnte und keine der vielen Tabletten, die er in den letzten Jahre zu sich nehmen musste. Bei all seinen Siegen schwenkte Oren stolz die blau-weiße Fahne Israels. 

Der damalige israelische Premierminister Benjamin Netanjahu (links), der israelische Präsident Reuven Rivlin (Zweiter v. links), Oren Blitzblau (Mitte), Verteidigungsminister Moshe “Boogie” Ya’alon (Zweiter v. rechts) und IDF-Stabschef Gadi Eizenkot (rechts) singen mit einer israelischen Musikgruppe bei den Feierlichkeiten zum 67. Unabhängigkeitstag Israels in der Präsidentenresidenz in Jerusalem. Foto: Miriam Alster/Flash90.

Für Heldenkampf ausgezeichnet

Oren diente weitere zehn Jahre in verschiedenen Positionen in der Geheimdienstabteilung der israelischen Armee und beendete seinen Wehrdienst nach über 20 Dienstjahren im August 2014. Er erzählt: „Ich diente 20 Jahre meinem Land: 10 Jahre davon mit Augenlicht, die anderen 10 blind.“

Zu den Feierlichkeiten des 67. Unabhängigkeitstags Israels wurde Blitzblau von Gadi Eisenkot, dem Stabschef der israelischen Armee, zum ‘Helden’ ernannt und mit einer Medaille ausgezeichnet. Oren wurde als einer von vier ‘Helden Israels’ in der Residenz des Präsidenten empfangen. Die Zeremonie fand unmittelbar nach der traditionellen Feier für herausragende Soldaten statt. Die Feierlichkeiten wurden patriotisch mit Kampfhubschrauber-Formationen eröffnet, als besondere Ehre für die herausragenden Leistungen der ausgewählten Soldaten. Oren erklärte später in einem Interview: „Ich habe ein paar Preise gewonnen, aber die Einladung in die Präsidentenresidenz am Unabhängigkeitstag ist eine besonders große Ehre. Der israelische Unabhängigkeitstag ist ein Höhepunkt.“ Weiter fügte der gerührte Sportler hinzu: „Jeder Sieg ist an sich aufregend, aber der Unabhängigkeitstag ist etwas, das für sich allein steht, einzigartig. Dass der Stabschef mich auserwählt hat, war sehr emotional. Für meine Familienmitglieder ist der Empfang in der Residenz des Präsidenten besonders aufregend.“

Blitzblau mit seinem Tandempartner.
Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Oren Blitzblau/privat

Oren genießt sein Leben

Heute lebt Oren Blitzblau mit seiner Frau Nitzan und seinen beiden Töchtern Lihi und Amit in Herzliya. Das Glück, seine beiden Töchter sehen zu können, hatte er nicht. Doch ist Oren überglücklich, Vater zu sein. 2019 gewann er den Titel „Schnellster blinde Ironman der Welt“ und stellte mit einer Zeit von 10:51:11 Stunden einen neuen Weltrekord für Blinde auf. In seinen Vorträgen sagte er: „Der Iron Man beinhaltet 3,8 Kilometer Schwimmen im offenen Meer, 180 Kilometer auf dem Fahrrad und einen 42,1 Kilometer langen Marathon. Muss man erst einen Selbstmordattentäter von Angesicht zu Angesicht treffen, um eine solche Leistung zu bringen?“

Von der Dunkelheit ins Licht

Um andere Menschen an seinem inneren Frieden teilhaben zu lassen und sie zu inspirieren, hält er Motivationsvorträge unter dem Motto „Nicht mit den Augen sehen“. Diese Vorträge ziehen ein sehr vielfältiges Publikum an. Von hochrangigen Ebenen israelischer Sicherheitskräfte und militärischer Einheiten, privaten Unternehmen und Studenten bis hin zu Teenagern und Privatpersonen, die ihrem eigenen Leben ein neue Richtung geben möchte. Blitzblau erzählt in seiner Lebensgeschichte über seine einschneidenden Verletzungen und die Rückkehr zu einem erfüllten und aktiven Leben. Er veranschaulicht seinen Zuhörern die wichtige Bedeutung der mentalen Stärke auf dem Weg zur Heilung, die Anpassung an sein neues Leben und das Vertrauen, dass jede Krise überwunden und als Chance zum Wachsen genutzt werden kann. Als blinder Sprecher und Sportler schafft er es, seinem Umfeld den Glauben nahezubringen, dass jeder Mensch seine Träume erfüllen kann, trotz aller Einschränkungen.

Oren bei einem seiner Vorträge. Foto: mit freundlicher Genehmigung von Oren Blitzblau/privat

Oren Blitzblau ist ein Held Israels. Er fand in der Dunkelheit das Licht und erkämpfte sich seinen Weg zurück ins Leben. Oren ist unser wahrer Ironman, nur eben ohne rot-goldene Rüstung.

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