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Verstorbener Rabbiner hinterlässt Machtvakuum

JERUSALEM, 21.03.2022 (MS) – Die Beerdigung von Rabbi Chaim Kanievsky in Bnei Brak wurde von etwa einer Million Menschen besucht. Sie und Juden weltweit nahmen Abschied von dem „Gadol HaDor“. Dieser inoffizielle Titel, des „Großen der Generation“ machte Rabbi Kanievsky zum Anführer der aschkenasisch-litauischen Juden. Sie wandten sich an ihn in allen ihren Lebensfragen, egal ob es um das jüdische Gesetz ging, alltägliche Angelegenheiten, oder politische Fragen, die das gesamte Volk betreffen.

Rabbi Chaim Kanievskys Autorität basierte ausschließlich auf seinem Wissen und seiner heiligen Lebensweise. Er soll seit seiner Kindheit jeden Tag etwa 17 Stunden in den heiligen Schriften gelernt haben und er beherrschte alle Facetten der jüdischen Lehre, von Koscher-Gesetzen bis zu mystischen Geheimnissen der Schöpfung.

Zum Gadol HaDor gehört jedoch nicht nur umfangreiches Wissen, sondern auch eine Persönlichkeit, die auf jüdischen Werten basiert. Rabbi Kanievsky lebte trotz seines Ruhms in einfachsten Verhältnissen in Bnei Brak, er war weder an Geld, noch an Macht, oder sonstigen Eitelkeiten interessiert und anders als viele andere Menschen, die als Genies gelten, war er jederzeit bereit zuzugeben, wenn er etwas nicht wusste.

Sein Leben

Rabbi Chaim Kanievsky wurde 1928 in Polen geboren und kam 1934 nach Israel. Obwohl er sich gegen den Armeedienst orthodoxer Männer aussprach, diente er selbst während des Unabhängigkeitskriegs von 1948 in der israelischen Armee. Er veröffentlichte viele Bücher über das jüdische Leben in Israel und war ein großer Unterstützer der Einwanderung der Juden nach Israel.

Das Ausmaß des Einflusses von Rabbi Kanievsky wird an einigen seiner Entscheidungen deutlich, die das Leben in Israel beeinflussten. So entschied er 2015, dass sich Erste-Hilfe-Sanitäter bei Terroranschlägen zuerst um die Opfer und erst später um die Terroristen kümmern sollen. Die Corona-Krise nahm Rabbi Kanievsky anfangs nicht allzu ernst, aber als sich der Umfang und die Schwere des Virus deutlicher zeigte, forderte er seine Anhänger auf, sich impfen zu lassen und alle Vorsichtsmaßnahmen der Regierung zu unterstützen. Auf die Frage, ob religiöse und arabische Parteien miteinander zusammenarbeiten sollten, hatte der Rabbi eine etwas überraschende Antwort, denn er zog es vor, mit Arabern zu koalieren, als mit Juden der linken Parteien, die kein Respekt für traditionelle Werte zeigen.

Was nun?

Die litauisch-aschkenasischen Juden sind die zahlenmäßig größte Gruppe der orthodoxen Welt und auch die einflussreichste. Sie stellt den aschkenasischen Oberrabbiner Israels, obwohl es auch viele aschkenasische Chassiden gibt, die ihre eigenen Autoritäten haben. Auch die sephardischen Juden, die jemenitischen und andere Gemeinden haben ihre jeweiligen Führungspersönlichkeiten, aber die Litauer geben im allgemeinen den Ton an.

Deswegen beginnt nach dem Tod des Gadol HaDor sofort die Suche nach seinem Nachfolger und es scheint, es gibt bereits einen natürlichen Thronfolger. Es wird angenommen, dass der 98-jährige Rabbi Gershon Edelstein die geistliche Führung der Litauer übernehmen wird, aber das ist nicht sicher, denn der Gadol wird nicht gewählt oder ernannt. Das Volk entscheidet, indem es sich an den Rabbi wendet, dem es am meisten zutraut, sie zu führen.

Titelbild: Auf den Straßen von Bnei Brak versammelten sich am Sonntag etwa eine Million Menschen. Yaakov Naumi/Flash90

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