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Kommentar: Zwei Bomben zerfetzen alle Friedensträume

von Tommy Mueller, Leiter von Fokus Jerusalem

Es ist kurz nach 7 Uhr, als heute Morgen in Jerusalem die Sirenen von unzähligen Rettungswagen und Polizeifahrzeugen losheulen. Wer längere Zeit in der Hauptstadt wohnt, weiß: Ein derart massiver Einsatz bedeutet eine Katastrophe oder einen Terroranschlag. Wenige Minuten später kommen dann die ersten Eilmeldungen: Explosion an einer Bushaltestelle am Stadtrand. Kurz darauf schickt mir ein Freund ein erstes Foto: Eine riesige Qualmwolke über der Stelle, an der die Bombe explodiert ist.

Erinnerungen an die Intifada

Jerusalem hat solche Bilder seit Jahren nicht mehr gesehen. Ein Toter und 22 Verletzte durch zwei Sprengsätze in der Hauptstadt. Die Erinnerungen sind sofort präsent: Die zweite Intifada, der Palästinenseraufstand von 2000 bis 2005. Selbstmordattentäter, explodierende Busse, Sprengsätze in Restaurants, Blut, Leid und Tränen. Heute morgen wird wie damals hektisch innerhalb der Familien telefoniert: Wo bist Du? Geht es dir gut? Weißt Du schon etwas über die Opfer?

Heute wie damals kontrollieren Sicherheitskräfte jeden Bus, achten auf abgestellte Taschen oder Rucksäcke. Sprengstoff-Spürhunde huschen durch Bahnhöfe und große Haltestellen. Die Angst ist zurück in Jerusalem.

Am Abend wird Aryeh Schupak beerdigt. Der 16-jährige Bibelschüler, der auch kanadischer Staatsbürger war, hatte sich bei der Explosion schwerste Verletzungen zugezogen. Nach Polizeiangaben enthielten die beiden ferngezündeten Bomben Schrauben und Nägel. Aryeh hat niemandem etwas Böses getan. Er musste sterben, weil er Jude war.

Der Anschlag trifft Israel zur Unzeit. Die abgewählte Regierung unter Yair Lapid hat sich gedanklich schon in die Opposition verabschiedet. Währenddessen hat Wahlsieger Benjamin Netanjahu größte Schwierigkeiten, eine neue Regierung zu bilden. Seine religiösen Koalitionspartner streiten um Ämter und Posten, während das Land in eine bedrohliche Lage gerät.

Friedensbemühungen zerfetzt

Die Jerusalemer Bomben haben alle Träume von Frieden und Versöhnung, die ohnehin nicht besonders realistisch waren, erst einmal zerfetzt. Immer mehr Israelis fordern ein härteres Vorgehen gegen palästinensische Mörder. Ehemalige Offiziere beklagen, Israel habe seine Abschreckung eingebüßt. Die Explosionen von heute haben das Potenzial, eine neue Welle von Gewalt und Gegengewalt auszulösen, eine Radikalisierung auf beiden Seiten. Möglicherweise hatten die Attentäter genau das im Sinn. Terrorgruppen wie der Islamische Dschihad wollen nicht über Frieden verhandeln, sie wollen kämpfen. Sie träumen von einem Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer, ohne Israel. Dass unter den israelischen Reaktionen alle Palästinenser leiden werden, auch die unzähligen friedlichen arabischen Familien, die mit Terror nichts zu tun haben wollen, ist den Extremisten völlig egal.

Wer die Israelis kennt, der weiß: Nach dem ersten Schock werden sie dem Terrorismus die Stirn bieten. Staatspräsident Isaac Herzog hat es heute auf den Punkt gebracht, als er erklärte: „Israel wird weiterhin stark und entschlossen gegen hasserfüllte Terrorgruppen und verabscheuungswürdige Terroristen auftreten und beweisen, dass es keine Kraft auf der Welt gibt, die den geeinten israelischen Geist brechen kann.“

Bild: Spurensicherung am Tatort. Foto: Olivier Fitoussi/Flash90

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