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In palästinensischem „Flüchtlingslager“ im Libanon kämpft jeder gegen jeden

JERUSALEM / BEIRUT, 04.08.2023 (TPS) – Das größte palästinensische „Flüchtlingslager“ auf libanesischem Boden, Ain al-Hilweh, ist zum Schlachtfeld geworden. Seit einer Woche gibt es heftige Auseinandersetzungen zwischen palästinensischen Gruppen. Die Kämpfe haben bisher 15 Tote und Dutzende Verletzte gefordert, viele wurden in die Flucht getrieben.
Rivalisierende Gruppen, vor allem aus der Fatah und islamistische Gruppen, haben den Konflikt nach dem Scheitern einer 24-stündigen Waffenruhe neu entfacht. Maschinengewehrfeuer und Einschläge von Granaten hallten durch das Lager, der Lärm der Kämpfe drang bis in die nahe gelegene Stadt Sidon. Rund 2.000 der 50.000 Lagerbewohner suchten in Schulen Schutz und wurden dort medizinisch versorgt.
Nach Angaben des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge wurde ein Schulkomplex, der zwischen den Hauptquartieren der Konfliktparteien liegt, durch die Besetzung der Kämpfer schwer beschädigt.

Fehlgeschlagener Mordversuch

Auslöser der Zusammenstöße war ein fehlgeschlagener Versuch von Fatah-Mitgliedern, Mahmoud Khalil, einen Anführer der islamistischen Terrorgruppe Junud al-Sham, zu töten. Als Vergeltung tötete die Terrorgruppe Abu Ashraf al-Armouchi, einen Fatah-Mann, der für die Sicherheit im Lager verantwortlich war.
Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, den Waffenstillstand zu verletzen. Ein wichtiger Streitpunkt ist die Forderung der Fatah, dass die Terrorgruppe die für den Mord an Armouchi verantwortlichen Schützen ausliefert.
Einer der Mordverdächtigen ist Bilal Badr, den die Einwohner den „Rambo von Ain al-Hilweh“ nennen. Angehörige, darunter Geistliche und Aktivisten verschiedener palästinensischer Organisationen, hatten versucht, den pro-syrischen Badr zur Aufgabe zu bewegen. In einem Versuch, die Kämpfe zu beenden, drang eine palästinensische Delegation in das Lager ein, um zu vermitteln, doch ein von ihr ausgehandelter Waffenstillstand brach innerhalb von zwei Stunden zusammen.
Asbat al Ansar, eine extremistische islamische Organisation mit Verbindungen zu Al-Qaida, die an den Kämpfen beteiligt war, beschuldigte die Fatah, zivile Wohnviertel und Moscheen angegriffen zu haben. Die Fatah hat inzwischen Dutzende Bewaffnete aus dem nahe gelegenen Flüchtlingslager Mieh Mieh zusammengezogen.

Libanon greift nicht ein

Hamas-Chef Ismail Haniyeh appellierte am Mittwoch an die libanesische Regierung und die Führer der politischen Gruppierungen, darunter Hisbollah-Chef Scheich Hassan Nasrallah, einzugreifen. Die libanesischen Streitkräfte zeigten jedoch keine Anzeichen, etwas zu unternehmen. Nach dem seit langem geltenden Status quo darf die Armee keines der 12 palästinensischen „Flüchtlingslager“ im Libanon betreten. Stattdessen werden die Lager, in denen 489.000 Menschen leben, von den palästinensischen Gruppen selbst bewacht.

Der libanesische Übergangspremier Najib Mikati hat am Donnerstag den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, aufgefordert, die Kämpfe zu beenden.

Palästinenser werden ausgegrenzt

Das dicht besiedelte Lager Ain al-Hilweh wurde 1948 errichtet und ist nur ein Drittel eines Quadratkilometers groß. Die große Mehrheit Bewohner sind keine Flüchtlinge, sondern deren Nachkommen. Sie sind im Libanon mit zahlreichen rechtlichen und sozialen Problemen konfrontiert. Nach libanesischem Recht dürfen sie die meisten Berufe nicht ausüben, kein Eigentum besitzen oder erben und sich nicht einbürgern lassen. Auch der Zugang zum libanesischen Gesundheitssystem ist ihnen verwehrt, so dass sie auf die Kliniken des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen angewiesen sind. Die „Flüchtlinge“ würden bewusst nicht integriert, so Kritiker, um Israel weiterhin für ihre Situation an den Pranger stellen zu können.

Bild: Die Bewohner der palästinensischen „Flüchtlingslager“ sind auf internationale Hilfe angewiesen. Foto: Majdi Fathi/TPS

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