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Nationaler Notstand droht: Netanjahu will Justizreform um ein Jahr verschieben

JERUSALEM, 16.08.2023 (NH) – Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will nach übereinstimmenden Medienberichten die umstrittene Justizreform um ein Jahr verschieben. Damit soll angesichts der anhaltenden Massenproteste ein nationaler Notstand vermieden werden. Die Regierung reagiert damit auch auf den Druck ihrer ultraorthodoxen Koalitionspartner. Diese haben erklärt, dass sie die Reform nur dann unterstützen werden, wenn zeitnah ein Gesetz verabschiedet wird, das ihre Thorastudenten vom Wehrdienst befreit. Dieses Gesetz hatte die Regierung wegen der angespannten innenpolitischen Lage nicht weiter verfolgt.

Sicherheitskrise droht

Mit dem Einfrieren des Reformvorhabens soll eine drohende Sicherheitskrise in der Armee abgewendet werden. Zahlreiche Reservisten, darunter Piloten und Elitesoldaten, hatten damit gedroht, ihren Dienst zu verweigern, sollte die Regierung Israel in eine Diktatur verwandeln. Auch die Führungen der Geheimdienste hatten wenig Sympathie für die Reform erkennen lassen.

Selbst das bereits verabschiedete Knesset-Gesetz über die Angemessenheit von Gerichtsurteilen könnte nun überarbeitet und angepasst werden. Die neue Regelung sollte die gerichtliche Überprüfung der „Angemessenheit“ politischer Entscheidungen verhindern. Aufgrund einer fehlenden Verfassung kann der Oberste Gerichtshof derzeit Entscheidungen der Knesset einfach aufheben, wenn sie den Richtern „unangemessen“ oder „unvernünftig“ erscheinen. Die Befürworter der Reform halten das für undemokratisch. Der Oberste Gerichtshof hat angekündigt, im September über die Zulässigkeit der neuen Regelung, die seine Befugnisse einschränkt, zu entscheiden.

Parallel zu seinen Bemühungen, die Justizreform zu verzögern, arbeitet Netanjahu jedoch weiter daran, die Zusammensetzung des Richterwahlausschusses zu ändern. Derzeit können die überwiegend links orientierten Obersten Richter selbst ihre Nachfolger bestimmen.

Ultraorthodoxe gegen Wehrpflicht

Unterdessen beharren ultraorthodoxe Parteien wie Shas und Thora-Judentum auf ihrer Forderung, einen Gesetzesentwurf voranzutreiben, der weitreichende Befreiungen vom Wehrdienst gesetzlich verankern soll. Netanjahus ultraorthodoxe Unterstützer hatten die Verabschiedung dieses Gesetzes in den Koalitionsvereinbarungen festgeschrieben. In einer gemeinsamen Erklärung von Netanjahus Likud-Partei und dem Thora-Judentum hieß es am Dienstag: „Alle Koalitionsführer arbeiten weiter zusammen, um sowohl das Wehrdienstgesetz als auch die Justizreform zu verabschieden.“

Da die Umsetzung der Justizreform ein Wahlversprechen Netanjahus war, gerät der Regierungschef zunehmend unter Druck seiner eigenen Anhänger. Außerdem dürfte die Wehrdienst-Befreiung zu neuen Massenprotesten der Opposition führen.

Titelbild: Benjamin Netanjahu und der Abgeordnete Yitzchak Goldknopf, der Vorsitzende der Thora-Judentum-Partei, bei in einer Parlamentssitzung. Foto: Yonatan Sindel/Flash90

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