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Traumatisierte Nationalhelden – Zivilisten im Kampf gegen den Terror

JERUSALEM, 25.08.2023 (NH) – Es sind ganz normale Israelis, die unerwartet und binnen Sekunden zu Nationalhelden werden. Auf dem Weg zu einem weiteren Arbeitstag, beim Einkaufen oder unterwegs: plötzlich schlägt palästinensischer Terror zu. Vor ihren Augen versucht ein Attentäter so viele Menschenleben wie möglich auszulöschen – doch sie flüchten nicht. Ohne nachzudenken, stellen sie sich dem Terroristen entgegen und beenden dessen Taten. Oftmals werden sie selbst selbst schwer verletzt. Von einer Minute auf die andere werden Zivilisten zu heldenhaften Lebensrettern.

Mutige Zivilisten inmitten eines Terroranschlags

Ihre Gesichter und ihre Taten werden landesweit im Fernsehen und auf sozialen Netzwerken verbreitet. Respekt und Anerkennung schlägt den tapferen Helden entgegen. Doch der blutige Tag soll das Leben der Retter für immer verändern. Das Erlebte brennt sich tief in Geist und Seele. Wie schlimm sind die traumatischen Ereignisse für die Alltagshelden wirklich?

Die meisten ungewollten Helden überlegen nicht lange. Mit bloßen Händen, einer improvisierten Waffe oder einer Pistole, stellen sie sich den hasserfüllten Mördern in den Weg. Ihr eigenes Leben rückt in den Hintergrund, Loyalität und Nächstenliebe überwinden die Todesangst. Während der jüngsten palästinensischen Terrorwelle wurden die meisten Täter von Zivilisten noch am Tatort gestoppt.

Der Terroranschlag im März 2022, in einem der Einkaufzentren in Beer Sheva, hat sich den Israelis ins Gedächtnis eingebrannt. Es war das brutalste Attentat in der südlichen Wüstenstadt in den vergangenen fünf Jahren.

Der Tatort des Terroranschlags in Beer Sheva. Der Terrorist überfuhr seine Opfer und stach wahrlos auf sie ein. Foto: Flash90

Loyalität besiegt Todesangst

Ein palästinensischer Angreifer erstach an einer Tankstelle zuerst eine junge Mutter, dann tötete er drei weitere Menschen in der Shoppingmeile. Ein bewaffneter Busfahrer stoppte seinen Linienbus und stürmte dem Terroristen entgegen. Den verzweifelten Rufen des Fahrers, das blutverschmierte Messer niederzulegen, kam der Attentäter nicht nach. Mit mehreren Schüssen stoppte der couragierte Busfahrer den Amokläufer und verhinderte Schlimmeres.

Heute, mehr als ein Jahr später, verfolgen die Szenen Artur H. noch immer. Durch seine Hand ist ein Menschenleben ausgelöscht worden. Geist und Seele versuchen erfolglos zu differenzieren, dass der Getötete ein Terrorist war. Den Tatort mit seinem Linienbus zu passieren, weckt das Erlebte jedes Mal aufs Neue. H. erzählt mit gedrückter Stimme auf Channel 13 von seinem Posttrauma. Der mutige Egged-Busfahrer erinnert sich an die Sekunden, in denen er seine Waffe entsichert und auf den Terroristen zustürmt: „Der Kopf sagt ‘Artur, was machst Du? Du hast eine Frau und fünf Kinder’ – doch die Angst wird einfach ausgeblendet.“.

Artur H. (ganz links) stürmt entschlossen dem Terroristen entgegen. Die eigene Todesangst wird ausgeblendet. Ein weiterer Zivilist (rechts) eilt herbei, um dem Busfahrer zu helfen. Foto: Video Screenshot privat

Morddrohungen nach Heldentat

Kobi A. (Name aus Sicherheitsgründen geändert) , ein erfolgreicher Bauunternehmer, beendete im vergangenen Juli den blutigen Amoklauf eines Terroristen in Tel Aviv. Kobi lief die Pinchas-Rosen-Straße entlang, um seinen Arbeitern einen Snack für die Mittagspause zu kaufen. Plötzlich erbebte die belebte Allee. Ein Fahrzeug war in eine Bushaltestelle gerast. Passanten wurden meterweit in die nahegelegenen Cafés geschleudert. Der Fahrer stieg aus seinem Auto und zückte ein Messer. In blindem Wahn stach er auf die Verletzten ein. Die Blicke des Terroristen und des Bauunternehmers kreuzten sich, der Palästinenser rannte auf Kobi zu.

Binnen von Sekunden entsicherte der Unternehmer seine Waffe und schoss. „Ich wusste, ich habe nur eine Chance. Wenn ich den Attentäter verfehle, ist das mein Ende.“, erzählte Kobi später in den israelischen Nachrichten. Erst nach dem dritten Schuss ging der Angreifer zu Boden.

Die unzensierten Videos der Heldentat gingen schnell viral. Kobi berichtet, dass der breiten Anerkennung im israelischen Volk und dem Lob israelischer Politiker, Morddrohungen der palästinensischen Autonomiebehörde folgten. Beamte der Behörde machten den Wohnsitz des israelischen Helden und seiner Familienangehörigen ausfindig und drohten mit Rache. Mit der Angst um das Leben seiner Familie und um das eigene hat Kobi auch einen Monat nach dem Terroranschlag noch zu kämpfen.

Der Tatort des Terroranschlags in Tel Aviv im vergangenen Monat. Kobi stoppte den Attentäter und kämpft nun mit den Folgen seiner Heldentat. Foto: Avshalom Sassoni/Flash90

Ein Menschenleben ausgelöscht

Ihre Taten belasten die Nationalhelden schwer. Durch ihre Hand verlor ein Mensch sein Leben. Oft ist es ihnen unmöglich, über das Erlebte zu sprechen. Viele Retter berichten von Depressionen, körperlichen und seelischen Beschwerden. Das Erlebte droht zur posttraumatischen Belastungsstörung zu werden. Doch der psychischen Belastung steht die Rettung unschuldiger Menschen gegenüber.

Kobi und Artur berichten, dass allein die Liebe des Volkes ihre seelischen Wunden langsam heilt. „Wir sind nicht zum Töten geboren – sondern um Leben zu schenken“, erklärt der Busfahrer. Als Berühmtheit betrachtet sich keiner der Beteiligten: „Wir sind keine Helden. Wir wurden einfach geschickt.“. Auf die Frage, ob sie sich dem Terroristen ein weiteres Mal in den Weg stellen würden, antworteten sie mit einem sicheren „Ja“. „Das Gewissen ein Menschenleben gerettet zu haben, macht mich glücklich.“, versichert Artur. „Was ist wichtiger im Leben, als für seinen Nächsten da zu sein?“

Titelbild: Rettungs- und Sicherheitskräfte am Tatort des tödlichen Autoattentats an der Ramot-Kreuzung in Jerusalem. Am 10. Februar 2023 überführ ein palästinensischer Terrorist zwei Brüder im Alter von fünf und sieben Jahren sowie einen weiteren 20-jährigen Passanten. Ein weiteres Mal wurde der Amoklauf von couragierten Zivilisten beendet. Foto: Yonatan Sindel/Flash90

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