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Historische Entscheidung: Oberstes Gericht erklärt Gesetz zur Justizreform für nichtig

JERUSALEM, 01.01.2023 (TM) – Mitten im Krieg hat das Oberste Gericht Israels eine hoch umstrittene Entscheidung veröffentlicht. Mit 8:7 Richterstimmen wurde das sogenannte „Angemessenheitsgesetz“ für ungültig erklärt. Die Entscheidung ist historisch: Erstmals kippte der Oberste Gerichtshof ein Gesetz, das vom Parlament im Juli in den Rang eines Grundgesetzes („Basic Law“) erhoben worden war. Die Entscheidung ist ein herber Rückschlag für die Regierung Netanjahu.

Die Regierung hatte argumentiert, das Oberste Gericht habe seine Befugnisse im Laufe der Jahre immer weiter ausgeweitet. So kam es dazu, dass es Entscheidungen der Regierung ohne rechtliche Grundlage widerrufen konnte – nur weil sie den Richtern „nicht angemessen“ erschienen. Das Gesetz sollte dies verhindern und Verhältnisse schaffen, wie sie in anderen Demokratien üblich sind. Die Regierung beklagte, der Oberste Gerichtshof sei demokratisch nicht dazu legitimiert, die Regierung oder einzelne Minister nur aus „Angemessenheits-Überlegungen“ zu überstimmen. Die Gegner des Gesetzes hielten dem entgegen, die Regierung wolle sich der Kontrolle durch das Oberste Gericht entziehen.

Alle Obersten Richter beteiligt

Erstmals befassten sich alle 15 Obersten Richter mit dem Gesetz, das sie selbst betraf. Die Entscheidung fiel mit 8 zu 7 denkbar knapp aus. 12 von 15 Richtern haben zudem schriftlich erklärt, dass Israels Gericht befugt sei, auch Grundgesetze aufzuheben. Zur Begründung hieß es in dem Urteil, die Gesetzesänderung hätte „den Kerneigenschaften des Staates Israel als demokratischem Staat schweren und beispiellosen Schaden zugefügt“.

Die „Bewegung für eine qualitativ gute Regierung“, ein Hauptgegner des Gesetzes, begrüßte das „historische Urteil“ als „großen öffentlichen Sieg für diejenigen, die nach Demokratie streben. Einer Regierung und Ministern, die sich von der Rechtsstaatlichkeit befreien wollten, wurde gezeigt, dass es Richter in Jerusalem gibt.“ Befürworter der Reform, die ebenfalls zu Hunderttausenden auf die Straße gegangen waren, warfen den Gegnern vor, sie wollten die Mehrheitsverhältnisse im Parlament nicht akzeptieren und die Regierung so zu Fall bringen.

Das Gesetz ist das erste einer ganzen Reihe von Gesetzen, mit der die Regierung das Justizwesen in Israel verändern wollte. Der heftige Streit innerhalb der israelischen Bevölkerung, der auch die Armee spaltete, gilt als einer der Gründe, warum sich Israel von der Hamas am 7. Oktober überraschen ließ.

Wie reagiert Netanjahu?

Justizminister Yariv Levin hatte versucht, die Urteilsverkündung bis zum Ende des Krieges hinauszuzögern. „Während unsere Soldaten Seite an Seite an verschiedenen Fronten kämpfen, und während die ganze Nation über den Verlust vieler Leben trauert, darf das Volk Israel nicht durch Streitigkeiten zerrissen werden“, hatte er vergeblich argumentiert. Gerüchte über die Entscheidung machten bereits seit Tagen die Runde. Mit Spannung wird erwartet, wie Regierungschef Netanjahu auf das Urteil reagieren wird. Sollte er sich weigern, den Richterspruch zu akzeptieren, droht Israel eine noch nie dagewesene Staatskrise.

Foto: Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Esther Hayut und die Richter des Obersten Gerichtshofs bei einer Verhandlung. Foto: Chaim Goldberg/Flash90

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