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Wer regiert künftig in Jerusalem?

von Tommy Mueller

JERUSALEM, 17.09.2019 – 6,3 Millionen Israelis wählen heute ein neues Parlament. Es ist spannend: Netanjahu und Herausforderer Gantz liegen in Prognosen gleichauf.

Die beiden Giganten strahlen um die Wette: An einem Hochhaus im Zentrum von Jerusalem hängt ein riesiges Wahlplakat, das US-Präsident Trump und Israels Regierungschef Netanjahu zeigt, wie sie sich gegenseitig anlächeln. Eine Männerfreundschaft. Das Plakat unterstreicht die Botschaft, die Israels Regierungschef seit Wochen auf allen Kanälen verbreitet: Ich kann gut mit Trump, und nur mit mir wird die enge Verbindung zwischen Israel und den USA Bestand haben. 

Netanjahu muss bangen

Trump hat die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt und die israelische Annexion der Golanhöhen anerkannt. Israel jubelte – aber Netanjahu muss bei den heutigen Parlamentswahlen dennoch um sein Amt bangen.

120 Sitze sind in der Knesset zu vergeben. 30 Parteien treten an, alle landesweit, es gibt keine Direktmandate wie in Deutschland. Netanjahus Likudpartei hatte bei den voran gegangenen Wahlen im April 39 Sitze erobert, nun liegt sie in den Prognosen bei 32 bis 33. Sein schärfster Konkurrent Benny Gantz (60), ein früherer Armeechef, holte mit seinem Bündnis Blau-Weiß im April 35 Sitze, nun liegt er gleichauf mit dem Likud.

Netanjahu (69) war im April überraschend mit der Regierungsbildung gescheitert. Grund war ein Streit um die Privilegien der Ultraorthodoxen, die vom Militärdienst befreit sind und hohe staatliche Zuschüsse erhalten. Das wollte Netanjahus potenzieller Koalitionspartner Avigdor Lieberman nicht länger hinnehmen – aber Netanjahu benötigte sowohl dessen rechte Partei „Israel Beyteinu“ als auch die Parteien der Strengreligiösen für eine Mehrheit. So kam es, dass rund 6,3 Millionen Israelis heute zum zweiten Mal innerhalb von fünf Monaten an die Urnen gerufen werden.

Nach rechts gerückt

Israel ist in den vergangenen Jahren weiter nach rechts gerückt. Die siedlerfreundlichen und nationalistischen Parteien wollen eher mit dem Likud koalieren als mit Gantz, von dem niemand so richtig weiß, wofür er inhaltlich steht. Doch Netanjahu hat strategische Fehler gemacht. So wollte er ein Gesetz durchbringen, das den amtierenden Premier vor Strafverfolgung schützt. Damit hätte er sich über die Justiz gestellt – angesichts der wütenden Reaktionen von allen Seiten machte er prompt einen Rückzieher. Auch seine enge Verbindung zu Trump und dessen republikanischer Partei werden von der Opposition kritisiert. Bei einem Machtwechsel im Weißen Haus könnte Israel in größte Not geraten.

Comedy statt Wahlprogramm

Der aktuelle Wahlkampf war eher dröge. Die Korruptionsvorwürfe gegen den Regierungschef spielten kaum eine Rolle. In den Wahlspots im Fernsehen und Radio gab es jede Menge Comedy und wenig Wahlprogramm. Bei öffentlichen Auftritten konnte Netanjahu, der als brillanter Redner gilt, hingegen glänzen: Er verwies immer wieder auf die angespannte Sicherheitslage und seine Erfolge in der Terrorabwehr. Dass in den vergangen Tagen sowohl die radikalislamische Hamas aus dem Gazastreifen als auch die vom Iran finanzierte Hisbollah vom Südlibanon aus Raketen auf Israel abfeuerten, spielte Netanjahu in die Karten. Als dann auch noch ein palästinensisches Terrorkommando eine Bombe zündete, die die 17-jährige Israelin Rhina Shnerb tötete und ihren Vater und ihren Bruder schwer verletzte, war Netanjahus Mantra-Thema Sicherheit wieder auf Platz eins in der Agenda.

In letzter Minute versuchte der Premier dann noch weitere Akzente zu setzen: Er kündigte an, im Falle eines Wahlsieges das Jordantal zu israelischem Staatsgebiet zu erklären. Bisher wird die Region an der Grenze zu Jordanien von den Palästinensern für ihren Staat beansprucht. Die Empörung im Westen war vorhersehbar und von Netanjahu wohl kalkuliert. Da ging die Erwiderung von Benny Gantz fast unter: Er habe die Annexion des Jordantals schon 2017 gefordert, verbreitete der Ex-General. Die Opposition setzte noch einen drauf: Netanjahus Vorgehen gegen die Hamas im Gazastreifen sei „viel zu weich“. Wahlkampfgetöse oder politisches Programm? Wohin der Weg der einzigen Demokratie im Nahen Osten führt, scheint derzeit offener denn je.

Bild: Netanjahu setzte im Wahlkampf auf seine Freundschaft zu US-Präsident Trump. Foto: Kobi Richter / TPS

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